Adalbert Stifter: Weihnachten

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Weihnachten schon wie­der, man glaubt es kaum, aber das Fest des Konsumrausches steht ein­mal mehr vor der Tür. Trotz bes­ter Vorsätze ist man wie­der­urm dem Kaufwahn ver­fal­len, zur Freude der Kaufleute und des Fiskus selbstredend.

Aber ist die­ser jähr­li­che Wahnsinn nicht Ausdruck unse­res schlech­ten Gewissens unse­ren Liebsten gegenüber?

Man begeg­net sich mor­gens zum eili­gen Frühstück und trifft sich abends nach Ganztagesschule, Büro und Montage vor der Glotze wie­der. Kennt man da eigent­lich noch sei­ne Mitbewohner,
ihre Bedürfnisse, Ängste, Freuden - kennt man da noch sei­ne „FAMILIE”?

Ein besinn­li­ches Fest der Familie und Liebe wünscht Euch

das Satyagraha-Team

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Weihnachten

von Adalbert Stifter

Unsere Kirche fei­ert ver­schie­de­ne Feste, wel­che zum Herzen drin­gen. Man kann sich kaum etwas Lieblicheres den­ken als Pfingsten und kaum etwas Ernsteres und Heiligeres als Ostern. Das Traurige und Schwermütige der Karwoche und dar­auf das fei­er­li­che des Sonntags beglei­ten und durch das Leben. Eines der größ­ten Feste fei­ert die Kirche fast mit­ten im Winter, wo die längs­ten Nächte und die kür­zes­ten Tage sind, wo die Sonne am schiefs­ten gegen unse­re Gefilde steht, und Schnee und Fluren deckt: das Fest der Weihnacht.

Wie in vie­len Ländern der Tag vor dem Geburtsfeste des Herrn Christabend heißt, so heißt er bei uns der hei­li­ge Abend, der dar­auf fol­gen­de Tag der hei­li­ge Tag und die dazwi­schen lie­gen­de Nacht, die Weihnacht. Die Katholische Kirche begeht den Christtag als den Tag der Geburt des Heilands mit ihrer aller­größ­ten kirch­li­chen Feier; in den meis­ten Gegenden wird schon die Mitternachtsstunde als die Geburtsstunde des Herrn mit pran­gen­der Nachtfeier gehei­ligt, zu der die Glocken durch die stil­le, fins­te­re, win­ter­li­che Mitternachtsluft laden, zu der die Bewohner mit Lichtern oder auf dun­keln, wohl­be­kann­ten Pfaden aus schnee­igen Bergen an bereif­ten Wäldern vor­bei und durch knar­ren­de Obstgärten zu der Kirche eilen, aus der die fei­er­li­chen Töne kom­men, und die aus der Mitte des in beeis­te Bäume gehüll­ten Dorfe mit den lan­gen, beleuch­te­ten Fenstern emporragt.

Mit dem Kirchenfeste ist auch ein häus­li­ches ver­bun­den. Es hat sich fast in allen christ­li­chen Ländern ver­brei­tet, dass man den Kindern die Ankunft des Christkindleins – auch eines Kindes, des wun­der­bars­ten, das je auf der Welt war – als ein hei­te­res, glän­zen­des, fei­er­li­ches Geschehen zeigt, das durch das gan­ze Leben fort­wirkt und manch­mal noch spät im Alter bei trü­ben, schwer­mü­ti­gen oder rüh­ren­den Erinnerungen gleich­sam als Rückblick in die eins­ti­ge Zeit mit den bun­ten, schim­mern­den Fittichen durch den öden, trau­ri­gen und aus­ge­leer­ten Nachthimmel fliegt. Man pflegt den Kindern die Geschenke zu geben, die das hei­li­ge Christkindlein gebracht hat, um ihnen Freude zu machen. Das tut man gewöhn­lich am hei­li­gen Abend, wenn die tie­fe Dämmerung ein­ge­tre­ten ist. Man zün­det Lichter und meis­tens sehr vie­le an, die oft mit den klei­nen Kerzlein auf den schö­nen grü­nen Ästen eines Tannen- oder Fichtenbäumchens schwe­ben, das mit­ten in der Stube steht. Die Kinder dür­fen nicht eher kom­men, als bis das Zeichen gege­ben wird, dass der hei­li­ge Christ zuge­gen gewe­sen ist und die Geschenke, die er mit­ge­bracht, hin­ter­las­sen hat. Dann geht die Tür auf, die Kleinen dür­fen hin­ein, und bei dem herr­li­chen, schim­mern­den Lichterglanze sehen sie Dinge an dem Baume hän­gen oder auf dem Tische her­um­ge­brei­tet, die alle Vorstellungen ihrer Einbildungskraft weit über­tref­fen, die sie sich nicht anzu­rüh­ren getrau­en, und die sie end­lich, wenn sie die­sel­ben bekom­men haben, den gan­zen Abend in ihren Ärmchen her­um­tra­gen und mit sich in das Bett neh­men. Wenn sie dann zuwei­len in ihren Träumen hin­ein die Glocken töne der Mitternacht hören, durch wel­che die Großen in die Kirche zur Andacht geru­fen wer­den, dann mag es ihnen sein, als zögen jetzt die Englein durch den Himmel, oder als keh­re der hei­li­ge Christ nach Hause, wel­cher nun­mehr bei allen Kindern gewe­sen ist und jedem von ihnen ein herr­li­ches Geschenk gebracht hat.

Wenn dann der fol­gen­de Tag, der Christtag kommt, so ist er ihnen so fei­er­lich, wenn sie früh mor­gens, mit ihren schöns­ten Kleidern ange­tan, in der war­men Stube ste­hen; wenn der Vater und die Mutter sich zum Kirchgang schmü­cken, wenn zu Mittag ein fei­er­li­ches Mahl ist, ein bes­se­res als an jedem Tage des gan­zen Jahres, und wenn Nachmittags oder gegen den Abend hin Freunde und Bekannte kom­men, auf den Stühlen oder Bänken her­um­sit­zen, mit­ein­an­der reden und behag­lich durch die Fenster in die Wintergegend hin­ein­schau­en kön­nen, wo ent­we­der die lang­sa­men Flocken nie­der­fal­len oder ein trü­ben­der Nebel um die Berge steht oder die blut­ro­te, kal­te Sonne hin­ab­sinkt. An ver­schie­de­nen Stellen der Stube, ent­we­der auf einem Stühlchen oder auf der Bank oder auf dem Fensterbrettchen lie­gen die zau­be­ri­schen, nun aber schon bekann­te­ren oder ver­trau­te­ren Geschenke von ges­tern Abend herum.

Hierauf ver­geht der lan­ge Winter, es kommt der Frühling und der unend­lich dau­ern­de Sommer – und wenn die Mutter wie­der vom hei­li­gen Christ erzählt, dass nun bald sein Festtag sein wird, und dass er auch dies­mal her­ab­kom­men wer­de, ist es den Kindern, als sei seit sei­nem letz­ten Erscheinen eine ewi­ge Zeit ver­gan­gen, und als lie­ge die dama­li­ge Freude in einer wei­ten, nebel­grau­en Ferne.

Weil die­ses Fest so lan­ge nach hält, weil sein Abglanz so hoch in das Alter hin­auf­reicht, so ste­hen wir so ger­ne dabei, wenn Kinder das­sel­be bege­hen und sich dar­über freuen.

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