„Das Lügenfernsehen” ist eine 30minütige Dokumentation von Anja Reschke, die einen Blick hinter die Kulissen des sogenannten „Reality TV” wagt. Was zum Vorschein kommt ist alles andere als real: Familien, die sich bei den Produktionsfirmen der Sender melden, müssen häufig in gestellten Szenen erfundene Rollen nachspielen, die ganz und gar nichts mit dem anfänglich versprochenen Thema, geschweige denn mit den wahren Familienverhältnissen zu tun haben. Das einzige was zählt sind quotentreibende Geschichten, Dramen und Happy-Endings, je ausgefallener, desto besser. Wer nicht sputet bekommt den unterschriebenen Vertrag unter die Nase gehalten.
Ramona Berndt war schon alles: keifende Mutter, lustlose Hartz-IV-Empfängerin, Hauptsache laut. Nie aber durfte Ramona ihr wahres Leben spielen, denn das ist offenbar für die RTL-„Realitäts-Sendung” mit dem Titel „Mitten im Leben” zu langweilig. Sie schreit und wütet wie ein Schauspieler nach Regieanweisungen. RTL erklärt dazu auf Anfrage, es existiere „kein detailliertes Dialog-Drehbuch, das vor Drehbeginn abgestimmt” werde.
Solche Geschichten haben Anja Reschke und ihr Team bei ihren Recherchen zum „Lügenfernsehen” am laufenden Band gefunden: scheinbare Realität entpuppt sich als Inszenierung. Manchmal kennzeichnen die Sender solche Flunkereien im Abspann, etwa als „Scripted Reality”, manchmal auch nicht. Die Formate haben Erfolg. Wenn „Information” im Privatfernsehen geschaut wird, dann ist es immer mehr solches Infotainment.
Nur selten wird in solchen Reality TV – Sendungen explizit darauf hingewiesen, dass die Geschichten frei erfunden sind. Zwar liegt die Interpretation der gesendeten Inhalte allein beim Zuschauer, doch wieviele Fernsehkonsumenten setzen sich wirklich kritisch mit dieser Flut an Shows und Filmen auseinander? Nach einem harten Arbeitstag ist den meisten ja klarerweise auch nicht mehr danach! Man will nicht mehr aktiv, man will passiv sein. Man will konsumieren. Man will einfach entspannen und sich interessante Geschichten in der hartverdienten Plasmaglotze ansehen, am besten solche, die noch die eigene Arroganz bedienen: „Na da schau her! Denen geht es ja noch schlechter! Zum Glück bin ich nicht so dumm/fett/arm wie die!” Vielleicht akzeptieren mehr Menschen ihre widrigen Lebensumstände, wenn sie von der Flimmerkiste suggeriert bekommen, dass es ihnen im Vergleich doch gar nicht so schlecht geht? Oder sie fühlen sich nicht so alleine zu Hause wenn nebenbei der Fernseher dudelt. Oder sie bekommen zumindest eine Adresse an die sie sich im Problemfall wenden können – das Fernsehen mit seinen Supernannys, Richtern und Schlichtern wird da schon helfen können … oder etwa nicht? Zumindest wird man dadurch berühmt, oder?
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Webseite: www.ndr.de
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Aus der Erfahrung von Freunden, die persönlich bei österreichischen Reality TV – Sendungen und Fernsehshows wie „Expedition Österreich” oder „Helden von Morgen” mitgemacht haben, weiß ich, das jedes winzige Detail in den Sendungen gestellt ist. Die Art und Weise, wie die abgelehnten KandidatInnen nach dem Casting schluchzend und schimpfend den Saal verlassen ist genauso choreografiert, geprobt und dreimal hintereinander nachgefilmt, wie die angebliche „Auswahl” der Teilnehmer. Je nach Zielgruppe, sollen einfach die Interessen einer möglichst großen Zuschauermasse bedient werden. Hauptsache es finden sich Teilnehmer nach dem Wunschbild des Publikums, das wochen- und monatelang an den Bildschirm gefesselt werden soll.
Da gehören bei Castingshows wie „Helden von Morgen” z.B. der machomäßige Rebell und das schüchterne Mauerblümchen mit der Wunderstimme genauso zum Standardrepertoire wie die freche Blondine mit dem großen Charakter und der schöne Teenieschwarm mit den Rehaugen. Bei „Expedition Österreich” spielten in der Auswahl auch weniger die sportlichen Fähigkeiten, als der Wille sich mit dem Regieführer im Caravan zu vergnügen, eine Rolle. Um reale Fähigkeiten geht es selten.
In der Planungsphase vor jeder neuen Sendung oder Staffel werden psychologische Profile erstellt, um dann je nach Show zum einen ein breites Publikum anzusprechen und zum anderen für vorprogrammierten Konflikte und Zündstoff zu sorgen. Falls eine KandidatIn dann nicht hundertprozentig in ein Schema passt, wird er oder sie eben passend gemacht. Das geht einfach mittels Personal-Trainern, verschiedensten Coaches und notfalls auch mit psychischem Druck der Marke „Schau dich an! Das Fernsehen macht dich noch dicker als du schon bist! Nimm ab, wenn du erfolgreich sein willst!”.
Davor muss allerdings noch ein Vertrag unterschrieben werden, der den TeilnehmerInnen der Shows verbietet, über die Praktiken hinter den Kulissen zu sprechen. So schafft man einwandfreie Realität auf den Bildschirmen!
Mehrere Male werden in der Reportage „Das Lügenfernsehen” die Nachrichten als unverfälschbar, eher beiläufig, erwähnt. Dass aber eben auch die Nachrichten zu manipulieren und kontrollieren sind, und dies auch politisch mißbraucht wird, sollte sich jeder ruhig selber durch den Kopf gehen lassen und/oder sich hier auf dem Blog darüber weiter informieren, z.B. hier:
Doch in wieweit entspricht wohl die Doku „Das Lügenfernsehen” selbst der Realität?
Wer gegen die mediale Realitätsverzerrung auf Nummer sicher gehen will, der sucht den Ausschaltknopf! Die Lügenkiste los zu werden, vor die Tür zu gehen und selber mit seinen 6 Sinnen die Welt dort draussen und in seinem Inneren zu entdecken. nur das kann Wahrheit sein!
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Update (05.08.2011):
Kürzlich sahen wir live in der Innenstadt das Fernsehtaxi aus der Show „Quiz Taxi Österreich”, welche auf dem Sender PULS 4 zu sehen ist. Wir waren zwar erstaunt, aber auch nicht sonderlich überrascht, zu sehen, dass jeder kleine Schritt des Wagens choreographiert und von verschiedenen Perspektiven aus gefilmt wurde. Und Obwohl von offizieller Seite behauptet wird: „Der Taxifahrer überrascht seine Fahrgäste mit einer Quiz-Show: Während der Autofahrt stellt er seinen Insassen Fragen”, so mussten sich die vermeintlich „überraschten” Fahrgäste zuvor schon anmelden um dann auf Abruf für das Quiztaxi selbst bereitzustehen. Wenn schon bei so kleinen Sendungen alles geplant und gestellt ist, wie ist es dann erst bei richtig großen Shows?
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Zur Vertiefung der Thematik empfehlen wir weitere Videos aus unserer Mediathek:
- Starsuckers – Dokumentation: Wie die Medien durch den Mißbrauch uns innewohnender primitiver Instinkte die Konsumgesellschaft antreiben und künstliche Vorbilder und Werte zu schaffen vermögen.
- Den medizinischen Hintergrund über die Wirkungsweise des Fernsehens auf unsere Psyche und auf unseren Körper wird bald ein Artikel inklusive eines Vortrags von Dr. med. univ. Manfred Spitzer beleuchten.
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2 Responses to Das Lügenfernsehen – Die Realität über Reality TV