H.D. Thoreau: Begründer des Zivilen Ungehorsams

Henry David Thoreau 1856.


In die­sem Artikel will ich eine denk­wür­di­ge und ein­fluss­rei­che Persönlichkeit vor­stel­len: Den alt­ame­ri­ka­ni­schen Schriftsteller, Poeten, füh­ren­den Transzendentalisten, Abolitionisten, Naturforscher, Steuerverweigerer, Gesellschaftskritiker, Pazifisten und Historiker Henry David Thoreau. Außerdem will ich kurz etwas Licht auf sein für Satyagraha wich­ti­ges Werk wer­fen: Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat”.

(Hier gehts zum zwei­ten Teil der Artikelserie)

Thoreau wur­de am 12. Juli 1817 als Sohn des Bleistiftfabrikanten John Thoreau in Concord nahe Boston in beschei­de­nen Familienverhältnissen gebo­ren. Sein Großvater müt­ter­li­cher­seits, Asa Dunbar, führ­te 1766 die „Große Butter Rebellion” der Studenten in Harvard an. Dies stell­te den ers­ten doku­men­tier­ten Studentenprotest in der dama­li­gen eng­li­schen Kolonie dar.
Thoreau stu­dier­te auch selbst von 1833 bis 1837 an der Harvard University. Danach war er für kur­ze Zeit als Lehrer tätig, da er jedoch „kei­nen Gebrauch von der uner­läss­li­chen kör­per­li­chen Züchtigung“ mach­te, kam es zum Konflikt mit der Leitung sei­ner Schule, wor­auf­hin er schließ­lich sei­nen Dienst quittierte.
Im Jahre 1841 lern­te er Ralph Waldo Emerson ken­nen, der als Dichter, Unitarier und Philosoph die unita­ri­sche Bewegung des ame­ri­ka­ni­schen Transzendentalismus begrün­det hat­te. Diesem soll­te spä­ter ein gro­ßer Kreis ame­ri­ka­ni­scher Dichter und Denker angehören.

Der Walden-See bei Concord im US-Bundesstaat Massachusetts heute.

Unter Emersons Einfluss ent­wi­ckel­te Thoreau refor­mis­ti­sche Ideen. So bezog er z.B. am 4. Juli 1845 eine selbst­ge­bau­te Blockhütte (Walden Hut) bei Concord am Walden-See, auf einem Grundstück Emersons. Hier leb­te Thoreau etwa zwei Jahre allei­ne und weit­ge­hend auto­nom, aber nicht in abso­lu­ter Isolation. Thoreau ging es bei die­sem Experiment nicht um eine ein­fa­che Weltflucht und den Protest gegen das „rast­lo­se, ner­vö­se, geschäf­ti­ge und tri­via­le neun­zehn­te Jahrhundert”, son­dern um ein bewuß­tes Leben, die Suche nach der Wahrheit und die Beschränkung auf das Wesentliche.

In sei­nem Werk „Walden. Or life in the Woods (dt: Walden. Oder das Leben in den Wäldern) beschrieb er die­ses ein­fa­che natur­be­ton­te Leben am See und in den umge­ben­den Wäldern, the­ma­ti­sier­te aber auch in kri­ti­scher Weise die Wirtschaft und Gesellschaft der dama­li­gen Zeit. Seit dem Erscheinen die­ser kunst­voll arran­gier­ten Tagebuchaufzeichnungen im Jahre 1854 wur­de Thoreau gan­zen Generationen zum Vorbild. Unter sei­nen Verehrern waren auch Leo Tolstoi, Mahatma Gandhi, Martin Luther King Jr., die Naturschutzbewegung wie auch gro­ße Teile der 68er-Generation.

 

Eine Tafel mit dem berühm­tes­ten Zitat aus Thoreaus Buch „Walden” mar­kiert heu­te noch die Stelle, an der einst sei­ne Hütte am See stand. (für die dt. Übersetzung – sie­he dar­un­ter Zitat Nr.1)

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2 Zitate aus Thoreaus Buch „Walden. Oder das Leben in den Wäldern”:

  1. Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hat­te, mit Überlegung zu leben, dem eigent­li­chen, wirk­li­chen Leben näher zu tre­ten, zu sehen, ob ich nicht ler­nen konn­te, was es zu leh­ren hät­te, damit ich nicht, wenn es zum Sterben gin­ge, ein­se­hen müss­te, dass ich nicht gelebt hat­te. Ich woll­te nicht das leben, was nicht Leben war; das Leben ist so kost­bar. Auch woll­te ich kei­ne Entsagung üben, außer es wur­de unum­gäng­lich not­wen­dig. Ich woll­te tief leben, alles Mark des Lebens aus­sau­gen, so hart und spar­ta­nisch leben, dass alles, was nicht Leben war, in die Flucht geschla­gen wurde.
  2. Wenn jemand ver­trau­ens­voll in der Richtung sei­ner Träume vor­wärts schrei­tet und danach strebt, das Leben, das er sich ein­bil­de­te, zu leben, so wird er Erfolge haben, von denen er sich in gewöhn­li­chen Stunden nichts träu­men ließ. Er wird man­cher­lei hin­ter sich las­sen, wird eine unsicht­ba­re Grenze über­schrei­ten. Neue, all­ge­mei­ne und freie­re Gesetze wer­den sich um ihn und in ihm bil­den oder die alten wer­den aus­ge­dehnt und zu sei­nen Gunsten in freie­rem Sinne aus­ge­legt werden.

Auf die­ses span­nen­de Buch, das in unse­ren kri­sen­ge­beu­tel­ten und tur­bu­len­ten Zeiten aktu­el­ler denn je ist, wer­de ich ein ander­mal genau­er ein­ge­hen. Es ste­cken vie­ler­lei inter­es­san­te phi­lo­so­phi­sche wie auch sozio­po­li­ti­sche Gedanken in die­sem Werk Thoreaus, die aller­dings den Rahmen und damit auch die Leserlichkeit die­ses Artikels spren­gen wür­den! Ich bit­te daher um Einsicht und noch ein wenig Geduld 😉

Henry David Thoreau im Jahre 1861.

 

Für Satyagraha wesent­lich ent­schei­den­der war aber sein Werk „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat”. Dieses klei­ne Buch mach­te Thoreau zum Begründer des zivi­len Ungehorsams und hat­te bereits weit­rei­chen­de Folgen für die poli­ti­sche Welt. Ich will kurz die Hintergründe sei­ner Entstehung präsentieren.

Den 23. Juli 1846 ver­brach­te Thoreau im Gefängnis, weil er sich wei­ger­te, sei­ne Steuerschuld gegen­über Massachusetts zu beglei­chen und mit die­sen Steuergeldern die ame­ri­ka­ni­sche Regierung (und damit die Sklaverei und den expan­si­ven Mexiko-Krieg) zu unter­stüt­zen. Die Schulden wur­den schließ­lich doch bezahlt und Thoreau dar­auf­hin aus dem Gefängnis ent­las­sen. Von wem, lässt sich nicht end­gül­tig klä­ren. Allerdings wird ver­mu­tet, dass sich dahin­ter ent­we­der Emerson oder ein naher Verwandter verbarg.

Inspiriert durch die Nacht im Gefängnis hielt Thoreau spä­ter Vorträge zu dem Grund sei­ner Zahlungsverweigerung. Diese Vorträge fass­te er zu dem Essay Resistance to Government 1849 zusam­men, wel­cher ab 1866 unter dem Titel Civil Disobedience bekannt wur­de (dt. Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat). Die Schrift avan­cier­te zum Standardwerk und Namensgeber des zivi­len Ungehorsams und dien­te u.a. Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder der fran­zö­si­schen Resistance im 2. Weltkrieg als Inspirationsquelle für den gewis­sens­ge­lei­te­ten, gewalt­frei­en Widerstand gegen die Obrigkeit. Thoreaus Buch ist ein zeit­los gül­ti­ges Pamphlet, iro­nisch, scharf­zün­gig wie auch kom­pro­miß­los in den Thesen und gleich­zei­tig von gro­ßer poe­ti­scher Kraft. Gandhi emp­fahl sogar all sei­nen Satyagrahis, Thoreaus Werk nicht nur genau zu stu­die­ren und zu ver­in­ner­li­chen, son­dern auch immer ein Exemplar bei sich zu tra­gen und zu verbreiten.

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Ausgewählte Zitate und Textpassagen aus Thoreaus Buch „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat”:

 

Wenn ein Mensch frei ist in sei­nen Gedanken, frei in sei­ner Phantasie und sei­ner Vorstellung, also in den Dingen, die nie für lan­ge Zeit leb­los bei ihm blei­ben, dann kön­nen unklu­ge Herrscher oder Reformapostel ihm nie gefähr­lich in die Quere kom­men.” – Henry David Thoreau

 

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Über die Regierung, Gesetze und Recht:

  1. Die bes­te Regierung ist die, wel­che am wenigs­ten regiert. (…) Eine Regierung ist bes­ten­falls ein nütz­li­ches Instrument; aber die meis­ten Regierungen sind immer – und alle sind manch­mal – unnütz.
  2. Deshalb ist sie [die Regierung] aber nicht weni­ger not­wen­dig; die Leute brau­chen ein­fach irgend­ei­ne umständ­li­che Maschine, sie wol­len ihren Lärm hören, um die Vorstellung zu befrie­di­gen, die sie von einer Regierung haben. Regierungen füh­ren uns also vor, wie leicht man die Menschen betrü­gen kann, ja, wie sie sich sogar selbst betrü­gen – und zwar zu ihrem eige­nen Vorteil.
  3. Könnte es nicht eine Regierung geben, in der nicht die Mehrheit über falsch und rich­tig befin­det, son­dern das Gewissen? – in der die Mehrheit nur sol­che Fragen ent­schei­det, für die das Gebot der Nützlichkeit gilt? Muss der Bürger auch nur einen Augenblick, auch nur ein wenig, sein Gewissen dem Gesetzgeber über­las­sen? Wozu hat denn dann jeder Mensch ein Gewissen? Ich fin­de, wir soll­ten erst Menschen sein und danach Untertanen. Man soll­te nicht den Respekt vor dem Gesetz pfle­gen, son­dern vor der Gerechtigkeit. Nur eine ein­zi­ge Verpflichtung bin ich berech­tigt ein­zu­ge­hen, und das ist, jeder­zeit zu tun, was mir recht erscheint.
  4. Die Mehrzahl der Menschen dient also dem Staat mit ihren Körpern; nicht als Menschen, son­dern als Maschinen. (…) In den meis­ten Fällen bleibt da kein Raum mehr für eige­nes Urteil oder mora­li­sches Gefühl; sie ste­hen auf der­sel­ben Stufe wie Holz und Steine; (…) Und doch hält man sol­che Menschen gewöhn­lich sogar für gute Bürger.
  5. Nur weni­ge Helden, Patrioten, Märtyrer, wirk­li­che Reformer und Menschen die­nen dem Staat auch mit dem Gewissen, wes­halb sie sich ihm oft wider­set­zen müs­sen; sie wer­den gewöhn­lich von ihm als Feinde behandelt.
  6. Auch für das Recht stim­men heißt nichts dafür tun. Allenfalls gibt man den Menschen sanft zu ver­ste­hen, man wün­sche, es möge sich durch­set­zen. Ein klu­ger Mensch wird die Gerechtigkeit nicht der Gnade des Zufalls über­las­se, er wird auch nicht wol­len, dass sie durch die Macht der Mehrheit wirk­sam wer­de. Denn in den Handlungen von Menschenmassen ist die Tugend sel­ten zu Hause.
  7. Der Mensch ist nicht unbe­dingt ver­pflich­tet, sich der Austilgung des Unrechts zu wid­men, und sei es noch­so mons­trös. Er kann sich auch ande­ren Angelegenheiten mit Anstand wid­men; aber zum min­des­ten ist es sei­ne Pflicht, sich nicht mit dem Unrecht ein­zu­las­sen, und wenn er schon kei­nen Gedanken dar­an wen­den will, es doch wenigs­tens nicht prak­tisch zu unterstützen.
  8. Wer nach Grundsätzen han­delt, das Recht wahr­nimmt und es in Taten umsetzt, ver­än­dert die Dinge und Verhältnisse; dies ist das Wesen des Revolutionären, es gibt sich nicht mit ver­gan­ge­nen Zuständen zufrieden.
  9. Es gibt unge­rech­te Gesetze: Sollen wir uns damit beschei­den, ihnen zu gehor­chen, oder sol­len wir es auf uns neh­men, sie zu bes­sern, und ihnen nur so lan­ge gehor­chen, bis wir das erreicht haben, oder sol­len wir sie viel­leicht sofort über­tre­ten? Die Leute glau­ben im all­ge­mei­nen, unter einer Regierung, wie wir sie jetzt haben, soll­ten sie war­ten, bis sie die Mehrheit zu den Änderungen über­re­det haben. Wenn sie Widerstand leis­ten, so glau­ben sie, wäre die Kur schlim­mer als die Krankheit. Aber es ist die Regierung, die allein Schuld hat, daß die Kur tat­säch­lich schlim­mer als die Krankheit ist. Sie macht sie schlim­mer. Warum tut sie nicht mehr dafür, Reformen vor­zu­se­hen und ein­zu­lei­ten? (…) Warum ermu­tigt sie die Bürger nicht, wach­sam zu sein und ihre Fehler anzu­zei­gen und ihr damit Besseres zu tun, als an ihnen getan wur­de? (…) Es scheint, daß eine bewuß­te und akti­ve Verleugnung ihrer Staatsgewalt der ein­zi­ge Angriff ist, auf den die Regierung nicht gefaßt ist; oder war­um hat sie dafür kei­ne ange­mes­se­ne Strafe eingeführt?
  10. Wenn aber ein Gesetz so beschaf­fen ist, daß es dich zwingt, einem ande­ren Unrecht anzu­tun, dann sage ich, brich das Gesetz. Mach dein Leben zu einem Gegengewicht, um die Maschine auf­zu­hal­ten. Jedenfalls muß ich zuse­hen, daß ich mich nicht zu dem Unrecht her­ge­be, das ich verdamme.
  11. Die recht­mä­ßi­ge Regierungsgewalt ist immer unvoll­kom­men: Um näm­lich unbe­dingt gerecht zu sein, muß sie Vollmacht und Zustimmung der Regierten haben. Sie kann kein umfas­sen­des Recht über mich und mein Eigentum haben, son­dern nur so weit, wie ich zustim­me. Der Fortschritt von einer abso­lu­ten zu einer ein­ge­schränk­ten Monarchie zur Demokratie ist ein Fortschritt in Richtung auf wah­re Achtung vor dem Individuum. Sogar der chi­ne­si­sche Philosoph war wei­se genug, das Individuum als Grundlage des Reiches anzu­se­hen. [Konfuzius Zitat, auf das sich Thoreau hier bezieht, fin­den sie im Abschnitt wei­ter unten: „Weitere Zitate” – Punkt 5]

 

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Die berühm­te Passage, in der Thoreau u.a. sei­nen Aufenthalt im Gefängnis beschreibt:

Unter einer Regierung, die irgend jeman­den unrecht­mä­ßig ein­sperrt, ist das Gefängnis der ange­mes­se­ne Platz für einen recht­schaf­fe­nen Menschen. Der rech­te Platz, der ein­zi­ge, den Massachusetts sei­nen freie­ren und weni­ger klein­mü­ti­gen Geistern anzu­bie­ten hat, ist eben das Gefängnis, wo sie von Staates wegen aus­ge­setzt und aus­ge­schlos­sen wer­den, nach­dem sie sich durch ihre Grundsätze schon selbst aus­ge­schlos­sen haben. Der ent­flo­he­ne Sklave, der auf Bewährung ent­las­se­ne mexi­ka­ni­sche Kriegsgefangene und der Indianer mit sei­nen Anklagen gegen das Unrecht, das man sei­ner Rasse zuge­fügt: nur hier sol­len sie ihn fin­den, im Gefängnis; auf die­sem abge­schie­de­nen, aber freie­ren und ehr­ba­re­ren Boden, wo der Staat jene hin­bringt, die nicht mit ihm, son­dern gegen ihn sind – es ist das ein­zi­ge Haus in einem Sklavenstaat, das ein frei­er Mann in Ehren bewoh­nen kann. [Anm.: Heute befin­den wir uns in Österreich eben­falls in einem Sklavenssystem, nur in der Form eines ver­steck­ten Zinssklaventums.]

Vielleicht glau­ben man­che, daß sie dort ihren Einfluss ver­lie­ren, daß ihre Stimme das Ohr des Staates nicht mehr erreicht, sie glau­ben, daß ihre Gegnerschaft inner­halb die­ser Mauern unwirk­sam wäre – aber sie wis­sen nicht, um wie­viel die Wahrheit stär­ker ist als der Irrtum und wie­viel über­zeu­gen­der und wir­kungs­vol­ler sie die Ungerechtigkeit bekämp­fen kön­nen, wenn sie sie nur ein biß­chen an sich selbst erfah­ren haben. Lege in dei­ne Stimme das gan­ze Gewicht, wirf nicht nur einen Papierzettel, son­dern dei­nen gan­zen Einfluß in die Waagschale. Eine Minderheit ist macht­los, wenn sie sich der Mehrheit anpaßt; sie ist dann noch nicht ein­mal eine Minderheit; unwi­der­steh­lich aber ist sie, wenn sie ihr gan­zes Gewicht ein­setzt. Vor der Wahl, ob er alle anstän­di­gen Menschen im Gefängnis hal­ten oder Krieg und Sklaverei auf­ge­ben soll, wird der Staat mit sei­ner Antwort nicht zögern. Wenn tau­send Menschen die­ses Jahr kei­ne Steuern bezah­len wür­den, so wäre das kein bru­ta­ler und blu­ti­ger Akt – das wäre es nur, wenn sie die Steuern zahl­ten und damit dem Staat erlaub­ten, Brutalitäten zu bege­hen und unschul­di­ges Blut zu ver­gie­ßen. Das ers­te­re ist, was wir unter einer fried­li­chen Revolution ver­ste­hen – soweit sie mög­lich ist. Wenn nun aber – wie es gesche­hen ist – der Steuereinnehmer oder irgend­ein ande­rer Beamter mich fragt: ” Was soll ich jetzt tun?” so ist mei­ne Antwort: ” Wenn du wirk­lich etwas tun willst, dann lege dein Amt nie­der.” Wenn ein­mal der Untertan den Gehorsam ver­wei­gert und der Beamte sein Amt nie­der­ge­legt hat, dann hat die Revolution ihr Ziel erreicht. (…) Aber der Reiche hat sich – ohne daß ich beson­ders nei­disch wäre – immer an die Institution ver­kauft, die ihn reich macht. Um es über­spitzt aus­zu­drü­cken: je mehr Geld, des­to weni­ger Anstand; denn das Geld tritt zwi­schen den Menschen und die gewünsch­ten Gegenstände, und es erwirbt sie an sei­ner Statt; und es war sicher­lich kei­ne gro­ße Tugend Geld zu erwer­ben. Geld erstickt vie­le Fragen im Keim, die sonst unan­ge­neh­me Antworten gefor­dert hät­ten. (…) Das Beste das ein Reicher zur Bewahrung und Förderung sei­ner Menschlichkeit tun kann, ist, die Wünsche zu ver­wirk­li­chen, die er als armer Mensch gehegt hat.

Ich habe sechs Jahre kei­ne Kopfsteuer bezahlt. Einmal wur­de ich des­halb für eine Nacht ins Gefängnis gesteckt. Wie ich da stand und mir die mas­si­ven Steinmauern betrach­te­te, die zwei oder drei Fuß dick waren, die Tür aus Holz und Eisen – einen Fuß dick – und das Eisengitter, wel­ches das Licht sieb­te, kam mir die Ganze Dummheit die­ser Institution zum Bewußtsein, die mich so behan­del­te, als wäre ich nicht mehr als Fleisch, Blut und Knochen, etwas, das man ein­schlie­ßen kann. Ich frag­te mich, ob sie nun zu dem Schluss gekom­men war, die­ses sei der bes­te Zweck, dem ich zuge­führt wer­den könn­te, und ob sie nie dar­an gedacht hät­te, sich mei­ner guten Dienste zu ver­si­chern. Ich erkann­te: Wenn zwi­schen mir und mei­nen Mitbürgern auch eine Mauer war, so war die Mauer, die sie über­klet­tern oder durch­bre­chen müß­ten, um so frei zu sein, wie ich es war, noch schwie­ri­ger zu über­win­den. Nicht einen Augenblick lang fühl­te ich mich beengt, und die­se Mauern schie­nen mir eine gro­ße Verschwendung von Stein und Mörtel. Mir kam es vor, als hät­te ich als ein­zi­ger unter mei­nen Mitbürgern die Steuer bezahlt. Ganz offen­sicht­lich wuß­ten sie nicht, wie sie mich behan­deln soll­ten, sie benah­men sich wie schlecht erzo­ge­ne Leute. In jeder ihrer Drohungen und in jeder ihrer Höflichkeiten steck­te ein dum­mes Mißverständnis; sie dach­ten näm­lich, mein größ­ter Wunsch sei, auf der ande­ren Seite die­ser Mauern zu ste­hen. Ich muß­te lächeln, wenn ich zusah, wie emsig sie die Tür vor mei­nen Betrachtungen abschlos­sen, wel­che dann ohne Mühe und Widerstand hin­ter ihnen hin­aus­gin­gen – und sie waren doch in Wirklichkeit die eigent­li­che Gefahr! Da sie mich nicht fas­sen konn­ten, beschlos­sen sie, mei­nen Körper zu bestra­fen; wie klei­ne Jungen, die, weil sie eine Wut auf jeman­den haben, aber nicht an ihn her­an­kön­nen, des­sen Hund miß­han­deln. Ich erkann­te, daß der Staat ein­fäl­tig ist, ängst­lich wie eine alte Jungfer mit ihren sil­ber­nen Löffeln, daß er sei­ne Freunde nicht von den Feinden unter­schei­den kann, und ich ver­lor die gerin­ge Achtung vor ihm, die noch übrig war, und bedau­er­te ihn.

Mit dem inne­ren Wesen, sei es inte­lek­tu­ell oder mora­lisch, kann der Staat sich also nie­mals aus­ein­an­der­set­zen, son­dern nur mit dem Körper, mit den Sinnen. Er ver­fügt weder über grö­ße­re Vernunft noch Ehrlichkeit, son­dern nur über grö­ße­re phy­si­sche Gewalt. Ich bin nicht für den Zwang gebo­ren. Ich wer­de nach mei­ner Art atmen. Wir wol­len doch sehen, wer stär­ker ist. Was für eine Macht hat eine Masse? Nur die kön­nen mich zwin­gen, die einem höhe­ren Gesetz fol­gen als ich. Sie zwin­gen mich dann, so wie sie zu wer­den. Ich habe noch nie gehört, daß ein Mensch von einer Menschenmasse gezwun­gen wor­den wäre, so oder so zu leben. Was wäre das auch für ein Leben! Wenn die Regierung vor mir steht und sagt: „Geld oder Leben”, war­um soll­te ich mich beei­len, mein Geld her­aus­zu­rü­cken? Vielleicht ist sie in einer Zwangslage und weiß nicht, was tun: Ich kann da nicht hel­fen. Die Regierung muß sich selsbt hel­fen; sie soll es machen wie ich. Es lohnt sich nicht dar­über zu grei­nen. Ich bin nicht dafür ver­ant­wort­lich, daß die Maschine der Gesellschaft rich­tig funk­tio­nie­re. Ich bin nicht der Sohn des Maschinenbauers.

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Weitere Zitate:

  1. Wir sagen gewöhn­lich, die Masse der Menschen sei unreif; aber die­ser Zustand bes­sert sich nur des­halb so lang­sam, weil die „weni­gen” nicht wesent­lich bes­ser oder klü­ger sind als die „vie­len”. Es ist nicht so wich­tig, dass die gro­ße Menge eben­so gut ist wie ihr, son­dern dass es über­haupt irgend­wo voll­kom­me­ne Güte gib; Denn schon ein biß­chen Hefe wird den Teig auf­ge­hen las­sen.
  2. Ein Mann, der wirk­lich einer ist, hat ein Rückgrat, durch das man nicht sei­ne Hand ste­cken kann.
  3. Es ist eben so: Diejenigen, wel­che kei­ne rei­ne­re Quelle der Wahrheit ken­nen, die ihre Spuren nicht wei­ter strom­auf­wärts ver­folgt haben, blei­ben aus gutem Grund bei ihrer Bibel und ihrer Verfassung und schlür­fen sie in Ehrerbietung und Demut. Die aber, wel­che sehen, wie die Wahrheit als dün­nes Rinnsal in die­sen See oder jene Pfütze ein­mün­det, krem­peln ihre Kleider noch ein­mal auf und wan­dern wei­ter ihrem Ursprung zu.
  4. [Thoreau zitiert an eini­gen Stellen im Buch auch Konfuzius:] Wenn in einem Lande Ordnung herrscht, so ist Armut und Niedrigkeit eine Schande; wenn in einem Lande Unordnung herrscht, dann ist Reichtum und Ansehen eine Schande.
  5. [Konfuzius:] Nie wird es einen wirk­lich frei­en und auf­ge­klär­ten Staat geben, solan­ge sich der Staat nicht bequemt, das Individuum als grö­ße­re und unab­hän­gi­ge Macht anzu­er­ken­nen, von wel­cher sich all sei­ne Macht und Autorität ablei­ten, und solan­ge er den Einzelmenschen nicht ent­spre­chend behandelt.

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Die vor­lie­gen­den Zitate und Textpassagen stam­men aus der zwei­spra­chi­gen Ausgabe des Buches

H.D. Thoreau: Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat – Civil Disobedience

    des Diogenes Verlags, Zürich 2004. Der Text basiert auf der deut­schen Erstausgabe von 1966 des Galerie Patio Verlags, Frankfurt am Main.

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Zusammenfassung (Wikipedia):

Verfasst in den Zeiten der ame­ri­ka­ni­schen Eroberungs- und Sklavenpolitik, for­dert Thoreaus Essay auf, sich dem posi­ti­ven Recht des Staates nur zu beu­gen, wenn es mit der per­sön­li­chen mora­li­schen Wertung über­ein­stimmt. Er pro­pa­giert ein Gewissensrecht der Moral gegen Ungerechtigkeiten in der Demokratie, mit Aussagen wie: „Wenn aber das Gesetz so beschaf­fen ist, dass es not­wen­di­ger­wei­se aus dir den Arm des Unrechts an einem ande­ren macht, dann, sage ich, brich das Gesetz. Mach’ dein Leben zu einem Gegengewicht, um die Maschine auf­zu­hal­ten. Jedenfalls muss ich zuse­hen, dass ich mich nicht zu dem Unrecht her­ge­be, das ich ver­dam­me.” Auch klagt er die Beamtenschaft an, wel­che sich dem Staat treu hin­ge­be, ohne auf das eige­ne Herz zu hören.

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Verwandte Artikel:

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Quellen:

  • http://www.china-guide.de/china/Chinesische_kultur/konfuzius.html
  • http://en.wikipedia.org/wiki/File:Henry_David_Thoreau_1861.jpg
  • http://en.wikipedia.org/wiki/File:Thoreaus_quote_near_his_cabin_site,_Walden_Pond.jpg
  • http://en.wikipedia.org/wiki/File:Henry_David_Thoreau.jpg
  • http://www.weltbild.ch/media/ab/2/003/119/003.119.988.jpg

(Hier gehts zum zwei­ten Teil der Artikelserie)

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